Führerscheinentzug? Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter § 316 StGB

 In Veröffentlichungen

Zum Sachverhalt: Der Beschuldigte war um 1:55 Uhr innerorts mit einem E-Scooter gefahren. Die BAK betrug 1,28 Promille. Das AG hatte die Fahrerlaubnis vorläufig nach § 111 a StPO entzogen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Angeklagte dringend verdächtig war, ein Fahrzeug (E-Scooter) geführt zu haben, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen war, das Fahrzeug sicher zu führen. Gegen diesen Beschluss hatte der Angeklagte Beschwerde eingelegt mit der Begründung das AG sei zu Unrecht von einer absoluten Fahruntüchtigkeit ausgegangen, da für deren Annahme in Bezug auf E-Scooter die Schwelle eines Blutalkoholgehalts von 1,6 Promille, also jene, die für das Führen von Fahrrädern im Straßenverkehr angesetzt werde, maßgeblich sei.

E-Scooter seien allerdings weder mit Pkws noch mit Motorrädern vergleichbar. Vielmehr würden sie  Fahrrädern mit elektrischem Hilfsantrieb ähneln, für die eine absolute Fahruntüchtigkeit erst ab einem Wert von 1,6 Promille angenommen würde. Daraufhin hat das AG die Beschwerde dem LG zur Entscheidung vorgelegt.

Das LG hatte den AG Beschluss aufgehoben, die Beschwerde war zulässig und begründet. Nach Ansicht des LG lagen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach

§ 111 a Abs. 1 StPO nicht vor. Das LG sah keine dringenden Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte gem. § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werde. Die Regelvermutung des

§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB könne hier ausnahmsweise widerlegt werden und der Angeklagte nicht als ungeeignet angesehen werden. Dabei könne offenbleiben, ob auf Fahrten mit E-Scootern der für die Fahrtuntüchtigkeit bei Kraftfahrzeugen geltende Grenzwert einer BAK von 1,1, Promille anzuwenden sei oder ob für sie der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6 Promille gelte. Denn selbst wenn von einem Grenzwert von 1,1 Promille auszugehen wäre und damit bei einer BAK 1,27 Promille der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht sei, so komme doch ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht.      

Entgegen dieser Regelvermutung könne bei einer Verwirklichung des § 316 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorlägen, die ihrer allgemeinen Natur nach schwere und gefährliche Verstöße günstiger erscheinen lassen würden als den Regelfall. Ein solcher Umstand ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass sich das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern erkennbar von dem der „klassischen“ Kraftfahrzeuge, wie Pkws, Lkws, Krafträdern etc. unterscheide. Dies ergebe sich bereits aus der durch Gewicht und Höchstgeschwindigkeit bestimmten äußeren Beschaffenheit von E-Scootern. In aller Regel weisen diese ein Gewicht von ca. 20 bis 25 kg und eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf.

Hieran wird bereits deutlich, dass für die Beurteilung des Gefährdungspotenzials von E-Scootern die technischen Daten entscheidend seien, die in erster Linie mit einem Fahrrad oder einem Fahrrad mit elektrischen Hilfsantrieb (sog. Pedelecs) vergleichbar seien. Auch der Gesetzgeber selbst hat explizit festgehalten, dass die Fahreigenschaften sowie die Verkehrswahrnehmung von Elektrokleinstfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads ähneln würden, wodurch – nach der Vorstellung des Gesetzgebers – verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder gelten sollten, sofern keine besonderen Vorschriften erlassen würden.    

Die Leistungsanforderungen beim Führen eines E-Scooters, insbesondere das Halten des Gleichgewichts und die kontrollierten Lenkbewegungen, seien nahezu identisch mit denen des Fahrens auf einem Fahrrad.

Aufgrund dieser Parallelität bezüglich des Gefährdungspotenzials zwischen E-Scootern und Fahrrädern sei bei der Anwendung des § 69 StGB im Zusammenhang mit einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter grundsätzlich zu berücksichtigen, dass eine gem. § 316 StGB möglicherweise strafbare Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad gerade nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach

§ 69 StGB nach sich ziehe und insoweit, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, Wertungswidersprüche entstehen können. Daher könne nicht ohne weiteres von der Regelvermutung des §69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgegangen werden. Bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter müsse vielmehr geprüft werden, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit des Betroffenen geschlossen werden könne, die mit einer Trunkenheitsfahrt mit klassischen Kraftfahrzeugen vergleichbar sei und damit eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigen würde.

Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene durch seine begangene Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter in irgendeiner Form gegenüber dem abstrakten Gefährdungspotenzial eine erhöhte Gefährdungslage geschaffen hätte. Daher könne auch keine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nachgewiesen werden. Außerdem war der Ermittlungsakte zu entnehmen, dass der Betroffene auf einem Fahrradweg über eine relativ kurze Strecke von 15 cm leichte Schlangenlinien fuhr. Anderweitige Ausfallserscheinungen im Verkehr, die eine Gefährdung von Personen oder Sachen hätten verursachen können, waren nicht ersichtlich.

Daher lag es in diesem Fall nahe, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als wiederlegt anzusehen. Die Voraussetzungen des § 69 StGB lagen nicht vor. Daher wurde der Beschluss des AG aufgehoben.  

LG Halle, Beschluss vom 16.7.2020  – 3 Qs 81/20

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Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana 

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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