Beschuldigter muss vor Akteneinsicht des Geschädigten einer Anhörung unterzogen werden

 In Veröffentlichungen

Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer 2021 hinsichtlich eines Beschlusses über einen Eilantrag darüber entschieden, dass es notwendig ist, dass eine Anhörung des Beschuldigten der Akteneinsicht seitens des Geschädigten vorausgehen muss. Dies ist ein Umstand, welcher in der heutigen Praxis gerne einmal ignoriert wird.

Zu diesem Beschluss führte folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete mehrere Ermittlungsverfahren gegen Verdächtige ein, bei welchen ein Anfangsverdacht aufgrund der Versendung mehrerer Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens unter dem Pseudonym „NSU 2.0“ bestand. Es wurde ermittelt, dass kurz vor Versendung dieser Drohschreiben eine Polizeibeamtin über das Intranet der Polizei datenschutzerhebliche Personalien einer Empfängerin eines solchen Drohschreibens abgerufen hat, was Sie in den Generalverdacht rückte.

Geschädigte fordert Akteneinsicht – Eine Anhörung hinsichtlich der Beschuldigten blieb aus

Das „Opfer“ forderte Akteneinsicht zu diesem Vorgang. Die Staatsanwaltschaft gewährte diese. Sie übersah jedoch den Umstand, dass die Beschuldigte zum Zeitpunkt der Aktenversendung an die Geschädigte noch keiner Anhörung unterzogen wurde.

Dazu äußerte sich das Bundesverfassungsgericht wie folgt:

„In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO regelmäßig mit einem Eingriff in Grundrechtspositionen des Beschuldigten, namentlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, verbunden ist und die Staatsanwaltschaft vor Gewährung der Akteneinsicht deshalb zu einer Anhörung des von dem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten verpflichtet ist. Die unterlassene Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann.“

Dies stellt einen Wink mit dem Zaunpfahl seitens der höchsten Justiz dar, dass bei Verstoß gegen diesen Ablauf ein Prozessgrundrecht, nämlich der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, tangiert ist.

Dieses verfahrensrechtliche Grundrecht drückt aus, dass in einem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich vor einer Entscheidung umfassend Gehör und damit Gelegenheit gewahrt wurde, auf die bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Es muss die tatsächliche Chance bestehen, dass in diesem Fall die Beschuldigte aktiv am Verfahren mitwirken kann und mit eigenen sachlichen und rechtlichen Argumenten auf die Willensbildung des Gerichts Einfluss nehmen kann.

Durch die vorherig genehmigte Akteneinsicht der Geschädigten hat die Staatsanwaltschaft die Frau in den Beschuldigtenstatus erhoben, ohne ihr ein Anhörungsrecht einzuräumen. Dies ist ein Verstoß gegen den Prozessgrundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht nutzte die Chance, in diesem Eilverfahren alle Staatsanwaltschaften daran zu erinnern, dass eine solche Rechtsprechung existiert und diese auch einzuhalten ist, da es sonst zu einem schwerwiegenden Prozessfehler führt.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT, Beschluss vom 08. Oktober 2021 – 1 BvR 2192/21 –

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Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.

Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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