Fortsetzung der Untersuchungshaft wegen Corona-Krise: rechtmäßig, oder unzumutbar? Verschiebung der Hauptverhandlung ok
Auch die ordentlichen Gerichte bleiben von der „Coronawelle“ nicht verschont und müssen sich mit neuartigen Maßnahmen auseinandersetzen, welche in den gerichtlichen Alltag eingreifen und nun rechtlichen Erklärungsbedarf fordern.
Um das Virus weitestgehend einzudämmen, bilden Kontaktverbote und das Prinzip des „Social Distancing“ die Grundsäulen für den Umgang mit dem neuartigen SARS-CoV2-Virus. Demnach ist auch bei Gericht empfohlen worden, etwaige Verhandlungstage bis auf weitere Stabilisierung der gesundheitlichen Situation Deutschlands auszusetzen, oder zu vertagen.
Dies ordnete auch der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg mit einem Beschluss vom 30.03.2020 an und vertagte die Hauptverhandlung zweier Beschuldigter des gewerbsmäßigen Handelstreibens mit Betäubungsmitteln auf Anfang Oktober 2020, um Gesundheitsgefährdungen entgegenzuwirken. Durch den Aufschub der Hauptverhandlung wurde parallel angeordnet, auch die bereits seit September 2019 andauernde Untersuchungshaft der beiden Angeklagten bis auf Oktober 2020 zu verlängern.
Dagegen wandten sich die beiden Betroffenen mit einer Beschwerde, die angeordnete Untersuchungshaft bis zum neuen Termin im Oktober 2020 auszusetzen. Nach den Vorschriften des §§ 121, 122 StPO darf die Untersuchungshaft ohne ein Urteil nur dann länger als sechs Monate vollzogen werden, wenn die besondere Schwierigkeit, der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft in solch einer besonderen Weise rechtfertigen. Nach Ansicht der Richter des Oberlandesgericht sind diese Voraussetzungen erfüllt, womit die Anordnung der Verlängerung der Untersuchungshaft als rechtmäßig einzustufen ist.
Die Inhaftierten hatten sich auf einen Verstoß gegen das sogenannte „Beschleunigungsgebot“ berufen, welches dem Beschuldigten ein subjektives Recht auf eine schnellstmögliche Abwicklung seines Strafverfahrens einräumt und auf dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK fußt.
Auch dieses Gebot sei trotz Verschiebung der Hauptverhandlungstermine gewahrt worden. Es sei in jedem Einzelfall abzuwägen, ob die Interessen der Allgemeinheit an einer funktionierenden Strafrechtspflege sowie die Interessen des Angeklagten an einer zügigen Erledigung des gegen ihn geführten Strafverfahrens, oder die mit der Durchführung der Hauptverhandlung verbundenen gesundheitlichen Risiken überwiegen. Bei Durchführung der Hauptverhandlung könne in der konkreten Situation nicht garantiert werden, dass das Abstandsgebot eingehalten werden kann und somit die Mitarbeiter der Justiz als auch die Angeklagten mit einem Gesundheitsrisiko behaftet werden, welches das Interesse an der Strafrechtspflege überwiege. Somit entspricht die Neuterminierung dem Beschleunigungsgebot.
Letztendlich wurde die Beschwerde der Inhaftierten verworfen, die Anordnung über die Fortsetzung der U-Haft bis zum neu-terminierten Verhandlungstermin ist demnach rechtmäßig.
Dieser Beschluss zeigt die „Dehnbarkeit“ bestimmter Rechtsbegriffe wie beispielsweise den sonst „engen“ Haftgründen aus §§ 121, 122 StPO, welche der aktuellen Situation angepasst werden und somit auch eventuelle Gefährdungslagen von außen eine Haftfortsetzung rechtfertigen können (OLG Naumburg, Beschluss vom 30.03.2020 – 1 Ws HE 4/20).
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht