Untersuchungshaft: nicht zulässig wegen Überlastung des Gerichts

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Das Bundesverfassungsgericht musste sich Ende 2017 mit der Frage auseinandersetzen, ob es einem Angeklagten zuzumuten ist, eine verlängerte Untersuchungshaft zu erdulden, wenn die zuständige Kammer des Gerichts arbeitsüberlastet ist. Die Richter aus Karlsruhe entschieden zugunsten des Angeklagten, welcher in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt wurde.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer ist ein Vietnamese, welcher aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Landau an der Pfalz seit Juni 2016 in Untersuchungshaft sitzt. Im wird seitens der Staatsanwaltschaft die Einfuhr von 1,1 Kilogramm Metamphetamin vorgeworfen. Im Juli 2017 eröffnete das Landgericht Landau an der Pfalz das Hauptverfahren gegen den Angeklagten. Die Verzögerung sei auf eine Arbeitsüberlastung der zuständigen Strafkammer zurückzuführen. Nach einem Verhandlungstag kam es erneut zur Verschiebung der Termine. Erneut wurde als Grund für die Vertagung die Arbeitsüberlastung des Gerichts genannt. Eine Haftprüfung bzgl. der Verlängerung der U-Haft des Angeklagten gemäß §§ 121, 122 StPO wurde vom zuständigen Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken vorgenommen. Die Richter des OLG sahen jedoch keinerlei Anlass, die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers aufgrund von weiteren Verzögerungen am Landgericht aufzuheben. Demnach wurde seitens des OLG die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mithilfe einer Verfassungsbeschwerde. Er sieht sich aufgrund der Fortdauer der Untersuchungshaft in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt, welches ihm das Recht auf persönliche Freiheit sowie den Bedürfnissen einer wirksamen und beschleunigten Strafverfolgung gewährleistet.

Im Grundsatz ist es lediglich gestattet, einen rechtskräftig verurteilten Straftäter die Freiheit zu entziehen. Gegenüber einem Verdächtigten ist dies wegen der Unschuldsvermutung aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 2 EMRK nur ausnahmsweise zulässig. Falls es dennoch dazu kommt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, welcher sich meist dadurch ausdrückt, dass die Strafverfolgungsbehörden sowie Strafrichter alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine zügige gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, welche für klare Rechtsverhältnisse sorgt.

Die zugrundeliegende Untersuchungshaft kann aus Sicht des BVerfG nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht wurde, welche ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben, denn dann bestehen diese nicht mehr in der Sphäre, welcher der Beschuldigte zu vertreten hat. Zwar können minimale Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen, dennoch müssen sich auch diese Verzögerungen in einem vertretbaren und angemessenen Rahmen befinden, was im obig genannten Fall aufgrund der extremen Verlängerung nicht mehr angenommen werden kann.

Eine nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts könne insofern niemals Grund für die Anordnung einer Haftfortdauer sein, da ein solcher Umstand immer in den Verantwortungsbereich der staatlichen Rechtspflege falle und dem Beschuldigten nicht zugemutet werden kann, eine längere Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt hat, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.

Zudem greife eine solche Untersuchungshaftverlängerung tief in die Grundrechte des Betroffenen ein, wodurch eine erhöhte Begründungstiefe seitens der Gerichte zu erwarten ist. Damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch transparent kommuniziert werden kann, bedarf es in dem Beschluss der Haftfortsetzung einer ausführlichen Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit.

Diesen Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht. Einerseits sei die Haftfortsetzung auf einer falschen Grundlage der Arbeitsüberlastung entschieden worden, andererseits fand zudem keine ausreichend begründete Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern statt.

Demnach hat das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und den Beschluss des OLG unter Zurückweisung der Sache aufgehoben. Das Oberlandesgericht musste nun unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 2 BvR 2552/17).

Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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