Beamten-Beleidigung? „Dann bekommt ihr auf die Fresse“ = keine Beleidigung

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Der Amtsgericht Harburg hat in seinem Urteil aus dem Jahre 2009 den Beleidigungstatbestand des § 185 StGB weiter konkretisiert und demnach deutlich gemacht, dass das deutsche Strafrecht nicht vor bloßen – wenn auch groben Unhöflichkeiten – schütze.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte war als Besucher in die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel gekommen, um einen Verwandten zu besuchen. Als dieser von den zuständigen Vollzugsbeamten vor Eintreffen in den Besucherraum auf etwaige Gegenstände durchsucht wurde, wurden jene fündig und verwiesen ihn daraufhin aufgrund eines Verstoßes gegen die Anstaltsordnung des Gefängnisgeländes. Als die Beamten den Angeklagten erneut aufforderten, das Gebäude zu verlassen, drehte dieser sich um und schrie: „Ihr kommt ja auch noch einmal aus der Anstalt und dann bekommt ihr auf die Fresse!“. Aufgrund Nachfrage der Beamten, was die Reaktion denn soll, erwiderte er erneut: „Ja, dann bekommt ihr richtig auf die Fresse“. Die Staatsanwaltschaft sah in diesem Verhalten eindeutig einen Verstoß gegen den Beleidigungstatbestand aus § 185 StGB.

Der verhandelnde Richter wies die Forderung der Verurteilung jedoch zurück, denn er sehe in der Aussage des Angeklagten noch keinen gewichtigen Angriff auf die Ehre eines anderen, was einen Freispruch zur Folge hat.

Dies begründete der Richter wie folgt:

Die Schwelle des § 185 StGB stelle eine tiefgreifende Ehrverletzung dar, welche in der Androhung der Körperverletzung jedoch noch nicht verwirklicht sei. Das Strafrecht habe nicht die Aufgabe, vor bloßer Ungehörigkeit, Distanzlosigkeit sowie Unhöflichkeit zu schützen. Dies würde dem „ultima ratio“-Aspekt nicht entsprechen, welchem das deutsche Strafrecht Sorge tragen soll.

Auch eine Androhung einer Straftat im Sinne des § 241 StGB sei zu verneinen, denn diese wäre indes nur strafbar, wenn es sich bei der angedrohten Tat um ein schwerwiegendes Verbrechen handeln würde, eine Körperverletzung nach § 223 StGB ist jedoch als Vergehen zu klassifizieren. Auch die Nutzung des § 185 StGB als Art „Auffangtatbestand“ des § 241 StGB verstoße gegen den Sinn und Zweck der Regelung und sei zu verneinen. Nicht jede Missachtung der körperlichen Integrität oder der Willensbetätigungsfreiheit könne in ein Beleidigungsdelikt umgedeutet werden.

Des Weiteren sei klarzustellen, dass der reine Ausdruck „Fresse“ als Synonym für Mund oder Gesicht eines anderen Menschen an sich noch keine Beleidigung, sondern lediglich einen „derben“ Ausdruck darstelle, welcher sozialethisch zwar als unhöflich zu kategorisieren ist, jedoch keiner Ehrverletzung gleichstehe. Würde man dies im obigen Kontext annehmen, so wäre der häufig genutzte Ausdruck „Halt die Fresse“ an sich eine Vollendung des Beleidigungstatbestandes und somit nach § 185 StGB strafbar, was jedoch in Anbetracht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG wohl als kritisch zu bezeichnen wäre.

Die Vollzugsbeamten beriefen sich zudem in der Verhandlung darauf, dass das „duzen“ ihrer Person durch den Angeklagten ein ehrverletzendes Verhalten darstelle. Dieser Behauptung steuerte der Richter jedoch entgegen und argumentierte, dass aufgrund des starken Wandels der gesellschaftlichen Konvention ein reines „duzen“ eine alltägliche Anrede darstelle, welche für die meisten Menschen in der Gesellschaft völlig normal sei, und keine herabwürdigende Handlung.

Letztendlich wurde von den Beamten vorgetragen, dass diese sich auch durch das Nichtfolgen ihrer Anweisungen „beleidigt“ fühlten. Es sei jedoch von keinem Mitbürger „absolutes Gehorsam“ zu erwarten, womit auch bei Nichtbefolgung der Weisung kein persönlicher Angriff konstruiert werden könne. Dies würde ein sehr fragwürdiges und nicht mehr zeitgemäßes Spannungsverhältnis zwischen Beamten als Staatsorgan gegenüber den Bürgern schaffen, welches so nicht anzunehmen sei.

Aufgrund Nichterfüllung des objektiven Tatbestandes des § 185 StGB wurde der Angeklagte freigesprochen.

Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Strafrecht

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