Geschwindigkeitsmessungen durch Private: zweifelhafte Voraussetzungen für rechtmäßiges Handeln

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Nachdem im November 2019 das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zahlreiche Bußgeldbescheide für rechtswidrig erklärte, weil diese durch private Dienstleistungsunternehmen angezeigt wurden, zeigt das BayObLG bestimmte Voraussetzungen auf, damit ein hoheitliches Handeln auf Private übertragen werden kann und dies innerhalb der Rechtmäßigkeit verbleibt.

Dem Fall liegt ein Bußgeldbescheid zugrunde, welcher als Folge einer kommunalen Verkehrsüberwachung durch Leiharbeiter und weiterer technische Unterstützung durch private Dienstleister zustande kam. Das BayObLG hat sich bezüglich diesen Themas bereits im Jahre 2005 weitestgehend geäußert, greift viele Kernaussagen der damaligen Entscheidung auf und transferiert diese auf den neuesten Stand der Technik.

Nach den Leitsätzen der Entscheidung ist eine Beauftragung zur privaten Geschwindigkeitsüberwachung unter strengen Voraussetzungen rechtmäßig. Dazu müssen folgende Bedingungen erfüllt sein.

Erstens: Die Gemeinde darf von ihrer gesetzlichen Befugnis zur Verkehrsüberwachung Gebrauch machen und sich dabei privater Dienstleister bedienen, wenn sichergestellt werden kann, dass die Gemeinde weiterhin als „Herrin des Verfahrens“ angesehen werden kann. Aufgrund der Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffes sind folgende Kriterien mit Indizwirkung in die Einzelfallentscheidung miteinzubeziehen: Die Gemeinde müsse Vorgaben über Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen, die Kontrolle des Messvorgangs, die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel und die Kontrolle über die Ermittlungsdaten festlegen. Auch die endgültige Entscheidung, ob und gegen wen ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist, muss letztendlich in der Macht der Gemeinde stehen.

Zweitens: Das für die Messungen beauftragte Personal, welches nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) der Gemeinde „überlassen“ wird, muss hinreichend in die räumlichen und organisatorischen Strukturen der Gemeinde integriert sein sowie der zuständigen Organisationseinheit der Gemeinde hinreichend zugeordnet werden können und deren Leiter unterstellt sein. Unter diesen Voraussetzungen kann man davon ausgehen, dass auch der private Dienstleister als ein Teil der Staatsgewalt angesehen wird und somit als überlassene „Mess – bzw. Auswertungsperson“ der hoheitlichen Tätigkeit der Gemeinde zugerechnet wird.

Drittens: Die Gemeinde müsse hinreichend gewährleisten, dass zu jeder Zeit ein unbeschränkter Zugang zu den Messdaten der Leiharbeitnehmer ermöglicht wird, so dass eine Kontrolle entweder digital oder mit direktem Zugang zum Speichermedium geschehen kann.

Viertens: Auch sonst darf sich die Gemeinde technischer Hilfe von privaten Dienstleistern bedienen, solange diese nicht in Bereiche eingreifen, die ausschließlich hoheitliches Handeln erfordern und ein ordnungsgemäßer Einsatz der technischen Hilfsmittel garantiert werden kann. Dies ist gegeben, wenn die Messung selbst als auch die Auswertung bei der Gemeinde selbst verbleibt. Hier ist wieder auf den Begriff der „Herrin des Verfahrens“ abzustellen.

Beispielsweise wäre es möglich, Arbeitnehmer damit zu betrauen, bestimmte Daten der Messreihe zu optimieren (Aufhellung der Bilder, Qualitative Steigerung durch Bildbearbeitungen), solange die Gemeinde als letzte Kontrollinstanz die komplette Handlungsfreiheit über den Fortgang des Verfahrens behält.

Diese Entscheidung stellt eine Kontrast zum OLG-Urteil aus Frankfurt am Main dar und sollte diesbezüglich jedem Verkehrsrechtsexperten bekannt sein. Falls Sie in einen solchen Fall verwickelt sind, ist es unabdinglich, einen Spezialisten mit dieser Sache zu betrauen, denn solch komplexe Fehlerquellen können lediglich im Rahmen einer intensiven Akteneinsicht – und Bearbeitung entlarvt und zugunsten ihrer Verteidigung verwendet werden.

BayObLG, Beschl. v. 29.10.2019 – 202 ObOWi 1600/19

Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Strafrecht

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