Keine Voraussehbarkeit eines Unfalls für den Täter durch das Mitverschulden des Geschädigten?

 In Veröffentlichungen

In dem vom AG Tecklenburg zu verhandelnden Fall übersah der angeklagte PKW-Fahrer in der Dunkelheit aus Unachtsamkeit den auf der Fahrbahn liegenden Geschädigten und überrollte diesen. Er verstarb an den Folgen seiner Verletzungen, die er durch das Überrollen erlitt. Der Angeklagte wurden daher wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB verurteilt. Die Revision vor dem OLG Hamm blieb erfolglos.

§ 222 StGB setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung des Täters voraus, die hier in der Verletzung des Sichtfahrgebotes nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO i.V.m. § 1 StVO gesehen wurde. Es wurde auf Basis eines Sachverständigengutachtens festgestellt, dass der Angeklagte angesichts der Stärke der Straßenbeleuchtung und seiner Fahrzeugbeleuchtung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, insbesondere bei aufmerksamer Beobachtung des vor seinem PKW befindlichen Straßenbereichs, den auf der Fahrbahn liegenden Geschädigten jedenfalls auf einer Distanz von 27 Metern rechtzeitig hätte erkennen können und zudem bei Einhaltung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sowie sofortiger Vollbremsung – unter Zubilligung einer Vorbremszeit von 1 Sekunde und einer Bremsverzögerung von 7,5m/s² – den PKW rechtzeitig hätte zum Stehen bringen können. Ein Überrollen und damit die Tötung des Geschädigten hätten auf diese Weise vermieden werden können. Die Tatsache, dass der Angeklagte mit dem auf der Straße liegenden Geschädigten nicht rechnen musste, schränke das Sichtfahrgebot nicht ein, denn ein PKW-Fahrer müsse bei Dunkelheit so fahren, dass er sein Fahrzeug noch vor einem Hindernis, auch in Form eines Fußgängers, anhalten könne.

Darüber hinaus wurde im konkreten Fall ein Mitverschulden des Geschädigten mit der Folge des Ausschlusses der Voraussehbarkeit des Unfalls für den Täter abgelehnt, da ein solches nur angenommen werden könne, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten des Geschädigten läge. Es läge aber nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass, wie hier, eine volltrunkene Person mit einer BAK von 3,36 ‰ zum Todeszeitpunkt nach einer Feier beim Überqueren einer Straße stürze und dort liegen bleibe. Zudem sei auch die denkbare Annahme eines gänzlich vernunftwidrigen Verhaltens abzulehnen, da bei der Bewertung eines solchen Verhaltens auf den Zeitpunkt bei Eintritt der kritischen Verkehrssituation, also hier auf den Zeitpunkt, als sich der Angeklagte mit dem PKW dem Unfallort näherte, abgestellt werden müsse. Das bedeutet, es ist ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang mit dem Unfall erforderlich. In diesem Zeitpunkt war der Geschädigte angesichts seines übermäßigen Alkoholkonsums zu einem vernunftgesteuerten Verhalten jedoch nicht mehr imstande (OLG Hamm, Beschluss vom 18.07.2019, RVs 65/19).

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Strafrecht

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