Sind eigenständig /privat bezahlte Gutachtenkosten im Straf – /Bußgeldverfahren erstattungsfähig?
Das Landgericht Bielefeld musste im Urteil vom Dezember 2019 darüber entscheiden, ob der Beschuldigte die Kosten für das eigens /selbst bezahlte außergerichtliche Sachverständigengutachten von der Staatskasse zurückverlangen kann. Dies ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, welche das Gericht in diesem Fall detailliert darstellte.
Zum Sachverhalt: Das Ordnungswidrigkeitsverfahren wurde aufgrund eines eigens in-Auftrag-gegebenen außergerichtlichen Gutachtens durch den Beschuldigten eingestellt. Die Kosten des Verfahrens wurden der Staatskasse aufgetragen. Der Beschuldigte wandte sich nun an das Gericht, um auch die durch ihn aufgewendeten Kosten für das Sachverständigengutachten erstattet zu bekommen. Dies lehnte das Amtsgericht in erster Instanz ab und verweigerte einen Festsetzungsantrag. Aufgrund Rechtsbeschwerde wurde die Sache an das Landgericht verwiesen. Dies sprach dem Beklagten die Erstattung der Kosten zu, da es sich gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 a Abs. 2 StPO um „notwendige Auslagen“ handelte.
Zur Systematik der Auslagenerstattung:
Im Strafprozess ist der Beklagte weitestgehend zu schützen. Dies wird einerseits durch den vollkommenen und umfangreichen Schutz des Prinzips der allseitigen Aufklärung gewährleistet, andererseits ist dem Angeklagten das Recht eingeräumt, Beweisanträge zu stellen sowie sich auf den Zweifelgrundsatz „in dubio pro reo“ zu berufen. Aufgrund dieser eingebauten Schutzmechanismen ist es nach Gesetz lediglich in besonderen Ausnahmefällen möglich, eigene Auslagen für Ermittlungen und Beweiserhebungen erstattet zu bekommen. Nämlich nur in den Fällen, in welchen eine Notwendigkeit des Eingreifens durch den Beklagten bejaht werden kann, weil die bereits oben genannten Systeme versagen:
Z.B. ärztliches Gutachten zum Gesundheitszustand, Unfallrekonstruktionsgutachten, technische Überprüfungen von Geschwindigkeitsmeßgeräten, Alkohol- und Btm-Gutachten etc.
Diese Notwendigkeit wird beispielsweise dadurch indiziert, wenn der Prozess mit einer schwierigen technischen Fragestellung behaftet ist und diese durch einen sachverständigen Gutachter aufgeschlüsselt werden müssen oder eine Verschlechterung der Beweislage im Prozess aus ex-ante- Sicht zulasten des Betroffenen droht (ex-ante= zum aktuellen Zeitpunkt des Prozesses). In vereinzelten Urteilen (z.B. LG Dresden, Beschl. v. 07.10.2009 – 5 Qs 50/07) wird diese Notwendigkeit sogar dann bejaht, wenn im Nachhinein (ex-post) ersichtlich wird, dass ohne das Gutachten der Prozess eine „andere Richtung“ i.S.d. Urteilsfindung eingeschlagen hätte.
Das LG Bielefeld hat die Notwendigkeit aufgrund der ex-ante-Erheblichkeit des Gutachtens während des laufenden Prozesses bejaht. Dies wurde wie folgt begründet:
Einerseits wurde das Verfahren bezüglich einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit geführt, die zugrundeliegende Geschwindigkeitsmessung wurde mittels eines Lasermessgerätes absolviert. Dies stelle vor allem für Laien eine technisch-schwierige Fragestellung dar, welche eines Sachverständigengutachtens bedürfe.
Da es sich bei dem genutzten Messgerät (Traffistar S350) jedoch um ein vom sogenanntes „standartisiertes Messverfahren“ handelt (OLG Düsseldorf – Beschluss vom 09.05.2017, IV-3 RBs 56/17), müsse das Gericht die Messung nicht anzweifeln, solange keine konkreten Anhaltspunkte für Fehler ersichtlich sind. Dies schränkt das Prinzip der allseitigen Aufklärung zulasten des Betroffenen ein. Da dieser aufgrund mangelnden technischen Verständnisses keine Einwände über die Messung erbringen konnte und das Gericht deshalb selbst keine Nachforschungen anstellte, heuerte er einen Sachverständigen an, welcher ein Gutachten über die Messung anfertigte.
In diesem Gutachten wurde ersichtlich, dass sich auf dem Messgerät eine andere Softwareversion befand, welche von dem im schriftlichen Vorverfahren übermitteltem Begleitzertifikat über die Messung angegeben war. Somit erfüllte das Zertifikat nicht die Anforderungen, welche für eine rechtmäßige Messung erbracht werden müssen.
Ohne den eigenständigen Gutachtenauftrag des Betroffenen wäre das Gericht nicht auf den Fehler aufmerksam geworden, welcher letztendlich zur Einstellung des Verfahrens führte. Der Umstand, dass der Richterin eine solche Problematik aufgrund eines Parallelfalles bereits bekannt war, kann hier nicht beachtet werden.
Aufgrund der direkten Kausalität der Gutachtenanfertigung hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens war dieses als notwendige Auslage nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 a Abs. 2 StPO auszulegen, was dazu führt, dass dem Beklagten die ausgelegten Kosten erstattet werden müssen.
Falls Sie in einen ähnlichen Fall verwickelt sind, überprüfen wir als Verkehrsrechtsexperten gerne für Sie, ob eine Eigeninitiative erfolgsversprechend und erstattungsfähig ist (generell übernimmt eine Rechtsschutzversicherung diese Kosten) – LG Bielefeld, Beschl. v. 19.12.2019 – 10 Qs 425/19.
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Strafrecht