Stalking: Physische /Psychische Beeinträchtigungen – zwangsläufige Strafbarkeit wegen Körperverletzung?
Dem BGH-Beschluss und dem zuvor durch das LG Dortmund erlassenen Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem der Angeklagte die Betroffene V. im Urlaub im August 2010 kennen gelernt hatte, blieben beide in Kontakt, ohne dass regelmäßige Treffen stattfanden oder sich daraus eine Liebesbeziehung entwickelte.
Die Betroffene fühlte sich Ende desselben Jahres durch den Angeklagten immer stärker vereinnahmt und eingeengt. Anfang 2011 erklärte die Betroffene dem Angeklagten, dass sie aufgrund der Annahme einer Arbeitsstelle kein Interesse an einer (Fern-)Beziehung habe und entfernte ihn später aus ihrer Freundesliste bei Facebook. Zwischen Februar 2011 und März 2012 versuchte der Angeklagte die V. trotzdem mehrfach über Facebook zu kontaktieren. Nach einer Löschung des Facebook-Profils durch V. bemühte sich der Angeklagte um Kontaktaufnahme über die Freundinnen der V und den neuen Lebensgefährten T via Facebook. Auch schrieb er V. und deren Eltern Briefe. Die Aufforderungen der Betroffenen und der zuvor genannten Personen gegenüber dem Angeklagten, V künftig in Ruhe zu lassen, blieben erfolglos. Das LG verurteilte den Angeklagten sodann wegen Nachstellung in Tateinheit mit versuchter Nötigung sowie Bedrohung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der V. und diverser Zeugen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten. Dagegen wendete sich der Angeklagte mit einer erfolgreichen Revision.
Eine Körperverletzung i.S.d § 223 I StGB setzt eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung voraus. Letztere wird definiert als das Hervorrufen oder Steigern eines vom Normal-
zustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes. Bei rein psychischen Einwirkungen des Täters auf sein Opfer ist zu beachten, dass diese nicht ohne Weiteres den nötigen Körperverletzungserfolg herbeiführen. Vielmehr muss in derartigen Fällen ein pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden sein, der vom Normalzustand nachteilig abweicht. Ein solcher pathologischer Zustand liegt z.B. bei emotionalen Reaktionen auf Aufregungen (z.B. starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände), latenten Angstzuständen, Nervosität oder erhöhter Reizbarkeit ohne nähere Erklärungen grundsätzlich nicht vor.
Nach Ansicht des BGH reichten die im vorliegenden Fall getroffenen Ausführungen zu den deutlich längerfristigen Anpassungsstörungen einer Zeugin, die zuvor bereits vorlagen und sich durch das bedrohende Verhalten des Angeklagten wesentlich gesteigert hatten, als Grundlage für eine Verurteilung nicht aus. Angesichts der Tatsache, dass sich die Zeugin davor bereits in psychiatrischer Behandlung befand, wären weitere, konkretere Erklärungen zu der Anpassungsstörung der Zeugin und zur Eigenständigkeit des Körperverletzungserfolges nötig gewesen.
Zudem setzt das Vorliegen des Tatbestandes des § 223 I StGB die Überschreitung einer Erheblichkeitsschwelle voraus. Vor diesem Hintergrund wäre es auch bzgl. der Schlafstörungen und Albträume der Zeugin erforderlich gewesen, konkret zu vermitteln, inwiefern die Gesundheit der Zeugin dadurch erheblich beeinträchtigt wurde. Als Beispiel dient eine dauerhafte Veränderung des Schlafverhaltens. Normale körperliche Reaktionen auf eine bedrohende oder belastende Situation wie z.B. Herzrasen oder Weinkrämpfe genügen ohne konkrete Schilderungen ebenso wenig für die Einordnung als erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung wie die unkonkrete Ausführung, dass das Opfer infolge des Täterverhaltens eine einwöchige Krankschreibung erhalten hat.
Die Erheblichkeitsschwelle wird ferner dann nicht überschritten, wenn es zu zeitlich begrenzten Reaktionen des Opfers kommt. Wenn das Opfer also durch das Täterverhalten unter kurzfristigen Angstzuständen oder an temporären Schwindelzuständen leidet, so genügt dies nicht. Nicht ausreichend ist auch eine kurze reaktive depressive Erkrankung. Kommt es jedoch zu einer längerfristig anhaltenden, massiven depressiven Verstimmung aufgrund äußerer belastender Umstände, verändert dies die Sachlage.
Neben der Erheblichkeit des Körperverletzung sei auch noch einmal auf die Notwendigkeit des Vorliegens eines objektivierbaren Zustandes hingewiesen. Fühlt sich das Opfer z.B. hilflos oder kraftlos und aufgrund der psychischen Verfassung nicht in der Lage, seiner beruflichen Tätigkeit weiter nachzugehen, so ist das eine rein subjektive Sicht auf die Dinge.
BGH, Beschl. v. 18.07.2013 – 4 StR 168/13 (LG Dortmund) Foto: AdobeStock Nr. 262252375
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht