Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Zeugen in der Hauptverhandlung?

 In Veröffentlichungen

In diesem Beschluss, welcher vom Strafsenat am 29.11.2016 in der Sache „2 StR 472/16“ erlassen wurde, mussten die Richter über eine Revision des Landgerichts Aachen entscheiden.

Dem Beschluss liegt die Verhängung einer 3-jährigen Freiheitsstrafe aufgrund eines versuchten besonders schweren Raubes dreier Männer zugrunde.

Die Revision soll sachlich-rechtliche Fehler hinsichtlich der Beweiswürdigung aufdecken, welche sich aus Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen herleiten lassen.Hinsichtlich dieses Falles wurden durch den Beschluss weitere Grundsätze des Verfahrensrechts „ausgeleuchtet“ und erweiternd konkretisiert.

Fraglich war in diesem Fall, welcher tatnachweislichen Würdigung eine Wiedererkennung des Angeklagten durch eine geladene Zeugin zugesprochen werden kann.

Dabei wurden folgende Grundsätze durch die Richter des Bundesgerichtshofes konkretisiert.

[1] Wenn es zu einer Wiedererkennung durch einen Zeugen kommt, so muss durch den Richter die Bekundung des Zeugen wiedergegeben werden, auf denen dessen Wertung zur Wiedererkennung beruht. Konkret bedeutet dies, der Richter müsse wenigstens die erscheinungsbildliche Täterbeschreibung des Zeugen schemenhaft wiedergeben, das Wiedererkennen in der Hauptverhandlung hervorheben und objektive Übereinstimmungen bestätigen.

[2]  Es sind Ausführungen durch den Richter zu erwarten welches das Wiedererkennen weiter konkretisiert. Hier ist auch zu unterscheiden, ob die Wiedererkennung durch den Zeugen erstmals aufgrund einer Einzellichtbildvorlage (dem Zeugen wird nur ein Personenbild vorgelegt und dieser misst daran seine Wiedererkennung) oder durch eine Wahllichtbildvorlage (dem Zeugen werden mehrere Personenbilder vorgelegt und dieser erkennt den Täter auf einem der Bilder wieder) erfolgt. Die Erkennung bei Einzellichtbildvorlage wird ein deutlich geringerer Beweiswert zugewiesen.

[3] Eine Wiedererkennung durch einen Zeugen in der Hauptverhandlung muss mit einer etwaigen verstärkten Suggestibiliät abgewogen werden. Dies bezeichnet das Phänomen, dass Menschen, welche in außergewöhnliche Ereignisse verwickelt waren, möglicherweise keinen beweiswürdigen fundamentierten Bezug zur Tat herstellen können und „das Gesehene“ mit „dem Eingebildeten“ vermischen. Im vorliegenden Fall wurde diskutiert, ob die Zeugin, nachdem sie von der Polizei veröffentlichte Fahndungsfotos kurz nach der Tat in einer Zeitung vernommen hat, die originäre Erinnerung durch die veröffentlichten Fotos eventuell „überschrieben“ wurde und sie nun Bezug zu ihren Tätern herstellt, obwohl kaum Gemeinsamkeiten objektiv feststellbar waren.

[4] Letztendlich muss der Richter schließlich die konkrete Wahrnehmungssituation mit den Aussagen der Zeugin sowie deren Wiedererkennung vergleichen und miteinander abwägen, ob eine Wiedererkennung in der konkreten Situation der Zeugin aus subjektiver Sicht zum Tatzeitpunkt überhaupt möglich war. Er solle hier eine Kontrollinstanz für eine verlässliche Identifizierung darstellen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2016 – 2 StR 472/16

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

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